„Viele Kunden und Besucher ziehen die Authentizität der Stadt einem austauschbaren Shopping Center vor.“
Ulrich Jonas
Leiter der Wirtschaftsförderung Heidelberg i. R.
Nach dem Studium begann Ulrich Jonas 1981 seine berufliche Karriere in Berlin und ab 1981 als Leiter der Wirtschaftsförderung/Liegenschaften in Langenhagen, wechselte dann 1999 als Geschäftsführer zur Wirtschaftsförderungs-GmbH nach Wolfsburg und 2007 als Leiter der Wirtschaftsförderung nach Heidelberg. Nach seiner Pensionierung ist Ulrich Jonas ab 2018 freiberuflich als Immobilienmakler und in der Kommunalberatung tätig. Zuletzt hatte er Lehrverpflichtungen an der DHBW Mannheim und an der VWA Freiburg und hielt Vorträge u.a. am DIFU. Außerdem ist Ulrich Jonas gut im Deutschen Städtetag und im Städtetag Baden Württemberg vernetzt.
Wie hat sich die Einzelhandelslandschaft in der Stadt Heidelberg in den letzten zehn Jahren verändert?
Anders als viele andere Standorte hat sich die Einzelhandelslandschaft in Heidelberg in den letzten zehn Jahren nicht nur behauptet, sondern ihre Position ausbauen können. Der relativ niedrige Filialisierungsgrad und die hohe Zahl an inhabergeführten Fachgeschäften machen die Innenstadt zu einem individuellen und hochwertigen Einkaufs- und Freizeiterlebnis. Im Gegensatz zu anderen 1-A-Lagen verzeichnet Heidelberg steigende Passantenfrequenzen und wesentlich differenziertere Nutzungsmotive der City, die von Einkauf, über Wohnen, Arbeiten, Studieren, Freizeit, Kultur bis zum klassischen Tourismus reichen. Es ist in den letzten zehn Jahren gelungen, vorhandene Defizite abzubauen und innenstadtrelevante Sortimente, wie zum Beispiel Elektronik zusätzlich in der City anzusiedeln. Auch der Besatz an Fachgeschäften konnte gehalten und qualitativ gesteigert werden. In der Peripherie ist das Angebot an Fachmarktsortimenten gezielt ausgebaut worden, Baumärkte sind hier sicher das wichtigste Beispiel. In den nächsten zwei Jahren folgen noch weitere Ergänzungen, so etwa ein attraktiver Möbelmarkt am Stadteingang in der Bahnstadt.
Wie bewerten Sie den Einfluss von großen Plattformen wie Amazon auf die Handelslandschaft?
Da in den letzten zehn Jahren der Einzelhandelsumsatz in Deutschland nahezu stagniert, die Verkaufsflächen aber weiter gewachsen sind und der Onlinehandel zwischen 15 % und 20 % des Gesamtumsatzes generiert – selbstverständlich sehr unterschiedlich je nach Sortiment -, gerät der stationäre Einzelhandel zunehmend unter Druck. Während starke Standorte, wie beispielsweise die Innenstädte von Heidelberg oder Mannheim sich weiter behaupten können und ihre Attraktivität und Kundenbindung teils sogar noch steigern, geraten Nebenlagen und Mittelzentren deutschlandweit unter enormen Druck. Vielerorts ist das Wegbrechen der für die Urbanität eines Standortes entscheidenden aperiodischen Anbieter, vor allem Textil, Sport, Lederwaren, Schuhe und Elektronik, zu beobachten. Leerstände in B-Lagen sind kaum noch gleichwertig zu füllen und es wird erheblicher Anstrengungen bedürfen, diesem Trading-down-Effekt etwas Wirksames entgegenzusetzen. Vielmehr besteht die Sorge, dass Sub- und Mittelzentren zunehmend zu reinen Versorgungsstandorten mit Gütern des täglichen Bedarfs reduziert werden und die Urbanität verloren geht. Es muss gelingen, die Attraktivität der vielen Neben- und Mittelzentren wieder zu steigern. Da sich die Handelslandschaft in einem stetigen Wandel befindet, sehe ich durchaus Ansätze, dass auch die Onlineanbieter selbst stationäre Angebote erzeugen und auch Nebenlagen wieder in den Fokus kommen.
Welche sind für Sie aktuell die drei wichtigsten Herausforderungen für die Heidelberger Einzelhändler mit Blick auf den Trend „Seamless Shopping“ über mehrere Kanäle hinweg?
Heidelberg ist sehr gut für die Zukunft aufgestellt. Die exzellente Platzierung beim Wettbewerb „Vitale Innenstädte“, bei dem alle wesentlichen Schlüsselfaktoren für zukunftsfähige Einkaufsstandorte im Vergleich bewertet wurden, zeigt das deutlich. Dennoch wird es auch für Heidelberg in der Zukunft kontinuierlich die Notwendigkeit der Weiterentwicklung geben. Für die wichtigsten Herausforderungen halte ich
- die Digitalisierung auf allen öffentlichen und private Ebenen, das heißt vor allem auch erhebliche Anstrengungen seitens der Fachgeschäfte,
- eine insgesamt über alle Anbieter und alle Medien und Kanäle vernetzte Stadt, an der Heidelberg bereits seit dem Bitkom-Wettbewerb arbeitet,
- die stetige und proaktive Anpassung an die sich immer schneller ändernden Markt- und Umfeldbedingungen. Zum Beispiel müssen Kundenerwartungen als Omnichannel-Lösung erfüllt werden, Bau- und Gestaltungsvorschriften müssen sich den digitalen Angeboten anpassen, Ladenöffnungszeiten des stationären Handels sind Wettbewerbsnachteile und steigern die Konkurrenz durch den Internethandel, der öffentliche Raum muss das Erlebnisbedürfnis der Innenstadtnutzer intensiver als in der Vergangenheit befriedigen, Mobilität wird sich neu definieren und die City muss sich darauf aktiv vorbereiten und vieles mehr.
Welche zentralen Veränderungen sehen Sie für das Shopping-Verhalten der Kunden in einigen Jahren?
Das Kundenverhalten ist schon heute Omnichannel-getrieben. Jede weitere Option, die sich durch technische und gesellschaftliche Weiterentwicklung ergibt, wird von den Kunden sofort adaptiert und in die sich immer weiter ausdifferenzierte Verhaltensweise und Erwartung integriert. Insgesamt ist davon auszugehen, dass sich der Wettbewerb für den stationären Handel weiter verschärft und digitale Vertriebsformen weitere Marktanteile gewinnen. Gleichzeitig verschwimmen die Grenzen zwischen stationärem und digitalem Einkauf. Neue Technologien, zum Beispiel interaktive Zahlungssysteme oder neue Logistikangebote führen auch für den stationären Handel zu Rationalisierungsvorteilen, die den heutigen Kostennachteil zumindest teilweise kompensieren kann. Entscheidend ist, alle Trends und Veränderungen früh zu erkennen und schneller als andere Standorte proaktiv zu agieren. Dies stellt eine enorme Herausforderung an die öffentliche Hand und die Akteure der Wirtschaft gleichermaßen dar, da anders als bei Shoppingcentern die gewachsene Innenstadt nicht zentral steuerbar ist. Dennoch liegt hier auch die besondere Chance, da viele Kunden und Besucher die Authentizität der Stadt einer austauschbaren Kunstwelt vorziehen. Die vergangenen zehn Jahre in Heidelberg haben gezeigt, dass es mit Vorausschau, Sorgfalt und intensiver Kommunikation möglich ist, die Akzeptanz und Positionierung einer Innenstadt nachhaltig zu verbessern. Ich bin überzeugt davon, dass das auch in der Zukunft gelingen kann und eine Mehrzahl von Kunden auch in 10, 20 oder 100 Jahren den Wert der Europäischen Stadt und das Echte schätzt und nutzt.