„Es gibt keine Standardlösung für Zentrenentwicklung und Revitalisierung“

Annette Berfelde

Bezirksamt Bauen, Stadtentwicklung und öffentliche Ordnung Berlin Treptow-Köpenick

Interviewbild Annette Berfelde

Annette Berfelde hat in Zusammenarbeit mit Dr. Lademann & Partner die Einzelhandels- und Zentrenkonzepte der letzten 15 Jahre für Treptow-Köpenick verantwortet.

Als Architektin (Dipl.-Ing. HAB, Weimar) ist die Karriere von Annette Berfelde in Treptow-Köpenick verwurzelt. Seit 1988 ist sie in der Stadtplanung des Berliner Bezirks tätig. Zudem gab es Phasen freiberuflicher Arbeit. Zu ihren Tätigkeitsbereichen gehören vor allem Bauleitplanung, sektorale Entwicklungen, Einzelhandelssteuerung und Zentrenentwicklung sowie Demografie, Wohnen und Infrastruktur.

Aktuell steht für sie das Thema Gewerbeentwicklung und Koordination integrativer Konzepte im Vordergrund ihrer Arbeit.

Frau Berfelde, Sie arbeiten seit fast 30 Jahren in der Stadtplanung des Bezirksamtes Treptow-Köpenick von Berlin und haben gemeinsam mit Dr. Lademann & Partner alle drei Einzelhandelskonzepte für den Bezirk begleitet. Welche zentralen Änderungen sind in den jeweiligen Konzepten festzustellen? Wie haben sich die Anforderungen daran im Laufe der Zeit geändert?

Während es im ersten bezirklichen Zentren- und Einzelhandelskonzept (2004) eher um eine Ersterfassung, Klarstellung und insgesamt Einführung in das Thema ging, erfolgte in den folgenden beiden Konzepten (2009 und 2016) eine deutlich differenziertere zeichnerische als auch inhaltliche Darstellung und Zielsetzung. Neben der nun grundstücksscharfen Darstellung der Abgrenzung der zentralen Versorgungsbereiche und der räumlichen Fixierung von Fachmarktstandorten wurde nunmehr auch ein rechnerischer Orientierungsrahmen für verträgliche Verkaufsflächenzuwächse benannt. Das hieß auch, dass bei der Bearbeitung betriebswirtschaftliche Betrachtungen als auch städtebauliche Aspekte gleichermaßen betrachtet werden mussten. Hier war das Büro Spath + Nagel Berlin ein kompetenter Partner für Lademann & Partner.

Die gestiegenen Anforderungen haben vielfältige Ursachen. Im Wesentlichen wurde auf die aktuelle Planungspraxis beziehungsweise die hier vorhandenen Konflikte und die hierzu erfolgte Rechtsprechung reagiert.

In diesem Kontext wurden auch die landesplanerischen Vorgaben, also die Stadtentwicklungspläne Zentren (2005, 2011) mit ihren Zielen, Leitlinien und Steuerungsgrundätzen immer differenzierter. Damit einher gingen die gestiegenen Erwartungshaltungen an die Steuerungsfunktion eines Zentrenkonzeptes seitens Politik und Fachverwaltung und die hiermit notwendige auch rechtliche Auseinandersetzung mit Möglichkeiten und Grenzen der Einzelhandessteuerung. Insbesondere das Thema Nahversorgung wurde viel vielfältiger beleuchtet. Im aktuellen Konzept 2016 wurde hier ein Prüfbogen ergänzt, der gerade für Anfragen der Nahversorger außerhalb der Zentren die entsprechenden Anforderungen transparent macht.
Zudem ermöglicht die Nutzung digitaler Medien eine entsprechende Aufbereitung der Darstellung. Das verändert die Anforderungen an die Präsentation und Aufbereitung der Inhalte. Standard sind daher mittlerweile die Visualisierung der Inhalte bspw. der Zentrenstruktur, Einzugsbereiche und Bestand und Planung sowie die öffentlichkeitswirksame Aufbereitung. Hinzu kommt eine verstärkte Beteiligung von Politik, Fachverwaltung, Interessenvertretern und Öffentlichkeit sowie die Herstellung der verwaltungsinternen Verbindlichkeit. Seit 2009 werden die bezirklichen Zentren- und Einzelhandelskonzepte als sonstige städtebauliche Planungen (BEP) von den Bezirksverordnetenversammlungen beschlossen.

Berlin legt sehr viel Wert auf den Schutz seiner Bezirkszentren. Das führt auch zu Konflikten bei der Ansiedlung von großflächigem Einzelhandel. Wie gehen Sie mit diesen Herausforderungen in Ihrem Bezirk um und wie kann man hier zu guten Lösungen kommen?

Der Schutz und damit die Entwicklung der bezirklichen Zentren – also neben dem Hauptzentrum, dem Stadtteilzentrum, den jeweils sieben Ortsteilzentren und Nahversorgungszentren auch der vier Fachmarkstandorte – ist nicht nur für den Bezirk eine wichtige Aufgabe, dies gilt für Berlin insgesamt.

Die Zentren sind als meist historische Geschäftsstraßen die urbanen Schwerpunkte der jeweiligen Ortsteile und Stadtquartiere, ergänzt um die Fachmarktstandorte, die sich im Bezirk an den übergeordneten Hauptstraßen verorten. Dieses Gefüge wird von Streulagen ergänzt, die die fußläufige Versorgung außerhalb der Zentren übernehmen, da Treptow-Köpenick durch weiträumige Siedlungsgebiete geprägt ist. Die landesplanerischen Vorgaben und auch die Ziele sowie Leitlinien im bezirklichen Konzept sind hier eindeutig: Großflächiger Einzelhandel soll aufgrund seiner Sogkraft in die Zentren bzw. Fachmarktstandorte gelenkt werden. Zudem gibt es Beschränkung bei der Sortimentsstruktur und Größenordnung je nach Zentrenkategorie. Ausnahmen gibt es nur für Nahversorgungsangebote, wenn bestimmte Voraussetzungen gegeben sind (u.a. Mindestabstand, räumliche Lücke, neues Wohnquartier). Dafür besteht jedoch Planerfordernis. Neben der strategischen Beratung sind für uns als Bezirk daher die planungsrechtlichen Reglungen entscheidend.

Eine Möglichkeit besteht in der Anwendung des § 9 Abs. 2 a BauGB, also dem Ausschluss bestimmter Nutzungen bzw. Sortimente zum Schutz der Zentren. In unserem Bezirk haben wir mit den dort klar definierten Regelungen gute Erfahrungen gemacht.

Voraussetzung ist ein von der Gemeinde beschlossenes Zentrenkonzept, in dem wesentliche Aspekte abgehandelt werden, u.a. eine aktuelle Bestandserfassung und Bewertung und eine Festlegung der zentralen Versorgungsbereiche. Gerade für Gewerbegebiete im Umfeld von Fachmarktstandorten oder an Ausfallstraßen ermöglicht dies neben dem Zentrenschutz auch die Sicherung der gewerblichen Ausrichtung. Dies ist vor dem Hintergrund des Stadtentwicklungsplans Wirtschaft ein gewichtiges Instrument.

Die Herausforderung besteht nicht nur in der Lenkung, sondern auch in der gewünschten Verfügbarkeit entsprechend geeigneter Flächen. Oftmals sind gewünschte Erweiterungen oder Ansiedlungen mangels Grundstücksverfügbarkeit oder mangelnder Eignung nicht umsetzbar. Hier heißt es, langen „Atem“ zu haben oder auch auf neue Handels-Konzepte setzen.

Eines Ihrer Hauptanliegen ist die Sicherung der Nahversorgung auch in den peripheren Stadtteilen des Bezirks – eine nicht immer einfache Aufgabe. Wie gehen Sie hier vor?

Eine der Zielsetzungen besteht – neben dem Zentrenschutz – in der Sicherung der fußläufigen Grundversorgung. Das stellt gerade in den ausgedehnten Siedlungsgebieten abseits der Hauptstraßen und mit kleinteiligen Grundstücken eine kaum lösbare Herausforderung dar.

Der Bezirk versucht, über die Verbesserung der Erreichbarkeit der bestehenden Handelsstandorte durch den Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV), also Bus und Tram, eine Entlastung zu erreichen. Hierzu gehören die Verdichtung der Taktfrequenz, die Optimierung und Ergänzung von Haltestellen und deren barrierefreier Umbau. Ergänzt wird die durch Förderung von alternativen Mobilitätsformen (Radverkehr, E-Mobilität, Lastenräder/-verleih, Ladestationen) und deren Ausbau.

Insgesamt wird der Standortsicherung ein hoher Stellenwert zugeschrieben. Wesentlich ist dabei der Umgebungsbezug als Versorgungsauftrag und die fehlende Zentrenschädigung, was in der Regel über die Entfernung gegeben ist. Aktuelle Gerichtsentscheidungen stärken hier die Grundversorgung.

Zudem wird im Zusammenhang mit Neubauquartieren von vornherein das Thema Grundversorgung mit eingebracht, auch auf Landesebene. Hier fehlt es derzeit noch an Überzeugungskraft gegenüber den Anbietern, auch B- und C-Lagen in den Blick zu nehmen, gegebenenfalls mit kleineren Konzepten.

Revitalisierung von in die Jahre gekommenen Handelsflächen spielt auch in Treptow-Köpenick eine große Rolle. Was ist Ihr Konzept für solche Flächen, auch vor dem Hintergrund der zunehmenden Mischnutzung von Handel zusammen mit Wohnen oder Büronutzung?

Neben den Nahversorgungsstandorten sind vor allem die Shoppingcenter der 1990er Jahre von den Veränderungen betroffen. Zum Glück nicht alle gleichermaßen. Bei den Centern können über das jeweilige Management entsprechende Abstimmungen zur Lösungsfindung und dem passenden Verfahren erfolgen. Gerade bei den Lebensmittelmärkten kommt es wie immer auf die Lage und den Einzelfall an. Die nunmehr hier mit einer Mischnutzung mögliche Mehrgeschoßigkeit bietet gerade für Zentren eine größere Vielfalt, die seit langem seitens der Planer gefordert wurde. Das Konzept „Hoch hinaus“ ist jedoch nicht für alle Standorte eine Lösung. In den traditionellen Siedlungsbereichen kollidiert dies oft mit der Typik im Umfeld.

Neu- oder Umplanungen von Einzelhandel – auch mit Wohnen im „Huckepack“ sind insbesondere eins: großflächig. Grundlage ist daher bei allen Verfahren das bezirkliche Zentren- und Einzelhandelskonzept.

Hier ist entscheidend, ob ein Vorhaben im Zentrum liegt, knapp außerhalb ist, als Streulage ein Umfeld versorgt oder als Bestand bereits großflächig ist. Bei den Vorhaben in unserem Bezirk ist klar, dass es die „eine“ Lösung zur Revitalisierung nicht gibt.

Für eine über den Bestand hinausgehende Entwicklung bedarf es überwiegend einer planungsrechtlichen Lösung. Dabei wird der Bezirk auch proaktiv und schafft Planungsrecht unter Beachtung der landesplanerischen Vorgaben und der Anforderungen aus dem Quartier. Ein gutes Beispiel hierfür ist die Marktpassage Adlershof. Dieses Vorgehen ist jedoch nur in Einzelfällen möglich. Daher muss es neue Ansätze geben. Für hochverdichtete Bereiche sind hier auch kleinere Formate mit Ergänzungsnutzung denkbar, wie beispielsweise mit dem Konzept ‚Rewe To Go‘.

Insgesamt wird das ein Thema sein, mit dem sich die anstehende Überarbeitung des bezirklichen Zentren- und Einzelhandelskonzeptes auseinandersetzen wird. Die Aufgaben in der Stadtplanung für Treptow-Köpenick bleiben weiterhin spannend und vielfältig.

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