„Wer zu Zeiten des Walkmans aufgewachsen ist, hat ein veraltetes Kommunikations-Modell im Kopf“

Rüdiger Straub

Geschäftsführer Straub & Straub Agentur für Kommunikation

Interviewbild Rüdiger Straub

Rüdiger Straub führt seit 2004 die Kommunikationsagentur Straub & Straub in Hamburg und Stuttgart (www.straub-straub.de). In dieser Zeit beriet er zahlreiche Handelsunternehmen – von der Bünting Unternehmensgruppe mit famila und Combi über DS Produkte (mit „Die Höhle der Löwen“-Juror Ralf Dümmel) bis zu Valora Holding Germany, dem bundesweit größten Kiosk-Netzwerk und Marktführer im deutschen Bahnhofs- und Flughafenbuchhandel. Seine Spezialgebiete: Handelskommunikation in allen seinen Facetten, strategische Kommunikation, Change- und Krisen-Kommunikation und die Beratung von Führungskräften großer Einzelhandelsunternehmen.

Sie waren maßgeblich am Rebranding im Zuge des erfolgreichen Refurbishments der Waterfront Bremen im Jahr 2008 beteiligt. Wie hoch schätzen Sie die Bedeutung des Rebrandings im Vergleich zu den übrigen Refurbishment-Maßnahmen ein?

Wenn aus einer voll gegen die Wand gefahrenen Investitionsruine eine großartige Einkaufsstätte werden soll, geht das in den allermeisten Fällen nur mit einem Rebranding. Den „Space-Park“ findet man übrigens heute noch bei Google als „schwarzes Loch an der Weser“, wie DER SPIEGEL schrieb. Von daher gab es keine andere Chance und der heutige Erfolg – die Waterfront wird mittlerweile hervorragend von ECE betrieben – macht uns als Agentur immer noch stolz.

Welche sind die Top-3-Erfolgsfaktoren für Einzelhandelsunternehmen, die ihre Kunden durch Onlinekommunikation auch an ihre stationären Geschäfte binden möchten?

Aufmerksamkeit, Angebot und Attraktion. Der Kunde sollte auf das Unternehmen aufmerksam werden, das Produktversprechen muss seinen aktuellen Bedürfnissen entsprechen und ihn persönlich ansprechen. Gezielte Impulse in der Onlinekommunikation, insbesondere natürlich in den Social Media, stärken die Kundenbindung. Das führt auch zu einem steigenden Abverkauf im stationären Handel, da sich das Unternehmen im Relevant Set der Zielgruppe befindet.

Welche Social-Media-Plattformen muss ein Einzelhandelsunternehmen im digitalen Zeitalter auf jeden Fall mit Content versorgen, um gegen den Wettbewerb eine Chance zu haben?

Wie immer im Leben: Kommt drauf an. In der Breite sollte ein Unternehmen heute – also im Sommer 2017 – auf Facebook präsent sein und dort attraktiven Content spielen. Facebook ist und bleibt derzeit die Basis. Besondere Aktionen müssen aber hier zwingend aufgrund der organischen Reichweite mit Facebook-Werbung gepusht werden. Zusätzlich ist Instagram ein Must-have – vor allem, um eine jüngere, urbane Zielgruppe anzusprechen. Auch im Kontext von Influencer-Kampagnen ist Instagram zurzeit die beste Social-Media-Plattform. Wenn die Zielgruppe deutlich jünger ist, könnte eine Präsenz auf Snapchat sinnvoll sein – aber auch nur, wenn zusätzlich andere Kanäle bespielt werden. Snapchat ist ein guter flankierender Kanal mit der Möglichkeit, kreativen Content zu spielen. Bitte immer bedenken: Das Geschäft ist schnelllebig, in sechs Monaten kann es schon wieder anders aussehen. Eine gute Agentur erkennt die Zeichen der Zeit.

Stichpunkt Krisenfall: Welche Kommunikationsfehler machen Unternehmen, die auf allen Kanälen aktiv sind, am häufigsten?

Ein grundsätzlicher Fehler basiert auf dem Missverständnis, die sozialen Kanäle lediglich als zusätzliche Plattformen zu begreifen. Nicht selten nutzen Unternehmen ihre Auftritte bei Facebook und Instagram oder ihren Twitter-Account zur undifferenzierten Verbreitung derselben Information, die sie auch in der PR und Öffentlichkeitsarbeit verbreiten. Im Fokus der Social Media steht jedoch die Beteiligung und vor allem in der Krise keine Frontbeschallung. Wer zu Zeiten des Walkmans oder davor aufgewachsen ist, der hat ein gemächlicheres und persönlicheres Kommunikationsmodell im Kopf verankert als jüngere Generationen. Kommunikation verbreitet sich heute sofort, sie findet im öffentlichen Raum statt, und sie kann sich explosionsartig vervielfältigen und damit verselbständigen. Was hier raus ist, lässt sich kaum mehr einfangen oder kontrollieren. Gleichwohl muss unmittelbar, oftmals blitzschnell, mit großer Sorgfalt kommuniziert werden. Unbedachte Äußerungen, die man im privaten Kreis unter Freunden noch erklären oder nachverbessern könnte, lösen in Social Media teilweise heftige Reaktionen aus. Journalisten wiederum recherchieren auch in den Social Media. Ich empfehle dringend, sich auf potenzielle Zwischenfälle vorzubereiten – unter fachlicher externer Beratung. Agenturen wie wir haben eine gute Außensicht und oftmals auch einfach mehr Erfahrung.

Welche zentralen Veränderungen sehen Sie für das Shopping-Verhalten der Kunden in einigen Jahren?

Durch die Möglichkeiten moderner Produktionsprozesse wird die Nachfrage nach individuell gefertigten Artikeln und nach personalisierten Produkten steigen. Der Online-Handel wird ohne Frage weiter zunehmen, aber den klassischen Handel nicht verdrängen. Es wird sich ein Gleichgewicht einpendeln, wobei bestimmte Produktgruppen stärker über das Netz eingekauft werden, andere weiterhin stationär. Hier werden sich die Unterschiede von Warengruppen wie Büchern, Kleidern und Lebensmitteln zeigen. Der gegenwärtige Hype im Online-Handel wird zudem eine natürliche Sättigung erreichen. Ein aktueller Trend kommt hinzu. Das Konsumieren rückt gerade bei jüngeren Generationen in den Hintergrund – zugunsten des Erlebens. Aktivitäten stehen hier höher im Kurs. Daraus können sich interessante Verschiebungen ergeben.

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