Sind Bots Game Changer?

Uwe Seidel, Geschäftsführender Gesellschafter von Dr. Lademann & Partner, im Gespräch mit Christoph Eberhardt, Geschäftsführer der fluidmobile GmbH

Interviewbild Uwe Seidel, Geschäftsführender Gesellschafter von Dr. Lademann & Partner, im Gespräch mit Christoph Eberhardt, Geschäftsführer der fluidmobile GmbH

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Alle sprechen gerade von der Digitalisierung des POS: Vernetzung des Verkaufsraums und Multichannel sind nur zwei der Stichworte. Was glauben Sie, wo die Reise hingeht?

Wenn man sich auf heute bereits vorgestellte Technologien beschränkt, wird es vermutlich viele Ähnlichkeiten zu einer Szene aus dem Film Minority Report geben. Ich betrete einen Shop, es wird festgestellt, dass ich den Laden betreten habe und ich erhalte sofort die für mich individuell zugeschnittenen Informationen. Statt eines Retinascans würden iBeacons Anwendung finden, statt eines großen Bildschirms an der Decke würde sich eher mein Smartphone in der Hosentasche melden. Das ist aber nur der Teil, der im Laden selbst stattfindet. Viel interessanter wird es sein, den Kunden schon zu einem viel früheren Zeitpunkt anzusprechen – beispielsweise zu Hause beim Online-Stöbern auf der Couch – um ihn dann am POS genau an der Stelle abzuholen, die für ihn relevant ist. Das digitale Kauferlebnis ist heute schon nicht mehr ortsgebunden. Der Erfolg des Einzelhandels wird sich daran messen, wie gut er sich in diese neuen Gesetze integrieren kann.

Das Internet der Dinge (IoT) schafft immer mehr Möglichkeiten kostengünstig Infrastruktur aufzubauen. Wie schätzen Sie dessen Potenzial für den Einzelhandel ein?

Das Internet der Dinge hat viele Türen für Innovationen geöffnet. Ich sehe jedoch ein Problem darin, wie diese neue Infrastruktur aktuell genutzt wird. Viele Innovationsansätze für die Digitalisierung des POS drehen sich um Indoor-Navigation, Inventarwiedergabe und Informationsanreicherung für Produkte. Es geht oft um Effizienzsteigerung und Befähigung des Kunden, vernunftsgemäß bessere Kaufentscheidungen zu treffen. Dabei wird ignoriert, dass Menschen viele Entscheidungen auf einer emotionalen Basis treffen. Dazu kommt noch, dass diese Informationen sehr technisch und funktional aufbereitet sind und somit immer eine Hürde aufgebaut wird, welche die Nutzungsbereitschaft der Zielgruppe senkt. Hier sehe ich in der Weiterentwicklung der Technologie der Bots eine große Chance.

Was kann man sich unter Bots vorstellen?

Bots werden über mobile Nachrichten-Apps wie Whatsapp, Facebook Messenger oder auch Chats und SMS realisiert. Man schickt eine Nachricht an den Bot, als würde man sich mit einem Menschen unterhalten, und dieser reagiert darauf. Der Bot ist ein intelligentes Programm, das mit Hilfe von Technologie aus dem Gebiet der Computerlinguistik ermöglicht wird. Die Funktionalität reicht hier von der einfachen Stichworterkennung bis zur Integration von neuronalen Netzen, um natürliche Sprache zu verstehen (Natural Language Processing, kurz: NLP). Microsoft hat hierzu kürzlich eine interessante Technologie zur Verfügung gestellt, welche NLP jedem Entwickler zugänglich macht: Language Understanding Intelligent Service, kurz: LUIS (http://luis.ai). LUIS wird ganz gezielt auf verschiedene Szenarien trainiert, sodass der Entwickler – ohne Kenntnisse der NLP-Technologie an sich – die Absicht (sog. Intents) des Botanwenders verstehen und verarbeiten kann. Das Basiskonzept Bots gibt es bereits seit den Anfängen des Internets. Von der Kombination dieses Konzepts mit modernster Technologie wird vor allem die Dienstleisterbranche massiv profitieren können.

Laut Comscore verbringt ein normaler Smartphone-Nutzer 80% seiner Zeit mit nur 3 Apps und eine davon ist eine mobile Nachrichten-App wie WhatsApp oder der Facebook Messenger. Bots sollen genau hier ansetzen und diesen Kanal nutzen. Wenn man diese immense Nutzerschaft sieht, wird schnell klar, welches große Potential Bots bergen.

Jetzt versteht sich nicht jeder Einzelhändler direkt als Dienstleister. Wie kann konkret der Einzelhandel von Bots profitieren?

Ich finde, dass jeder Einzelhändler das Selbstverständnis eines Dienstleisters entwickeln sollte. Amazon ist bei vielen Menschen so beliebt, weil sie neben dem großen Angebot einen hervorragenden Service bieten. Ich bin überzeugt, dass in Zukunft der Faktor Service für die Kaufentscheidungen von Kunden noch viel relevanter sein wird. In einer Welt mit maximaler Transparenz im Verkauf ist ein guter Service das differenzierende Merkmal, das auf das emotionale Reputationskonto des Kunden einzahlt. Guter Service ist teuer, da es heute in den meisten Fällen noch Menschen bedarf. Mit Bots können wir Services deutlich günstiger anbieten. Und viel wichtiger noch: Geschriebene oder gar gesprochene Sprache ist für uns viel natürlicher als übliche User-Interfaces von heute und bedarf keines technischen Verständnisses. Schlussendlich ist die Qualität der Kommunikation zwischen Anbieter und Kunden entscheidend für das Serviceempfinden. Mit intelligenten Bots können wir genau dies steigern.

Zum besseren Verständnis mal ein paar Beispiele. Stellen wir uns mal vor, ich kaufe regelmäßig in einem bestimmten Supermarkt ein und dieser Supermarkt nutzt einen Bot – zum Beispiel über den Facebook Messenger. Nun kann ich mit diesem Bot ähnlich wie mit einem Verkäufer sprechen.

Beispiel 1: Ich schicke dem Bot eine Kurznachricht, und frage „Wie lange habt ihr heute offen?“. Der Bot antwortet: „Heute haben wir bis 20 Uhr geöffnet“.

Beispiel 2: Ich teile dem Bot mit: „Sag mir in Zukunft Bescheid, wenn es Angebote für Fisch gibt“. Sobald es ein Angebot gibt, wird der Bot mir eine Nachricht zusenden: „Hallo Herr Eberhardt, diese Woche haben wir frisches Wildlachsfilet aus der Nordsee, das Kilo für 23 Euro.“

Beispiel 3: Wenn wir das vorhergehende Beispiel weiterverfolgen, könnte ich antworten: „Großartig, legen Sie mir doch bitte 1 Kilo von diesem Wildlachsfilet zur Seite, ich hole es später ab“. Der Bot bestätigt das Ganze: „Gerne, wir reservieren Ihnen 1 Kilogramm Wildlachsfilet zu einem Kilopreis von 23 Euro. Bitte bestätigen Sie die Reservierung“. Zwei Knöpfe erscheinen: Reservieren Ja/Nein.

So kann ich ganz bequem im Vorfeld meines Supermarktbesuchs sichergehen, dass ich das bekomme, was ich möchte. Und der Supermarkt kann mich so schon von der Couch aus auf Angebote aufmerksam machen.

Welche Voraussetzungen müssen noch geschaffen werden, bevor diese Technologie nutzbar wird?

Grundvoraussetzung ist eine gute Vernetzung und Verfügbarkeit von Informationen. Wenn der Kunde zum Beispiel noch nicht genau weiß, wo und was er einkaufen möchte, muss man als Anbieter den Kanal bespielen, auf dem sich der Kunde bewegt – Stichwort Multichannel. Bei Bots ist das nicht anders. Vorausgehen muss eine Öffnung der Bot-Anbieter für Dienstleister und Händler. Apples Siri, Googles Allo, Microsofts Cortana und VIV, ein Produkt von zwei ehemaligen Apple Siri-Entwicklern, wollen dies in Zukunft ermöglichen beziehungsweise ermöglichen es bereits.

Bots stecken heute noch in den Kinderschuhen, aber durch die großen Investitionen bekannter Unternehmen wie Microsoft und Facebook in diese Technologie werden wir wohl eine sehr schnelle Verbreitung von Bot-Lösungen erleben. Taco Bell (USA) zum Beispiel experimentiert bereits mit Bots für den Bestellprozess ihres Heimlieferservice.

So ist es wohl nur noch eine Frage der Zeit bis Bots mehr und mehr in unseren Alltag und in Service-Erlebnisse integriert sein werden. Gerade für den Einzelhandel bieten sich hier enorme Möglichkeiten, ihren Service – und somit ihr oben beschriebenes Differenzierungsmerkmal – auszubauen.

Zur Inspiration kann ich auch das Präsentations-Video zu VIV empfehlen. Von diesem Produkt ausgehend hin zum digitalisierten, intelligenten Angebot und Verkauf vor Ort ist es nur noch ein Katzensprung.

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