„Ökosysteme zu verstehen und zu nutzen, ist nahezu alternativlos!“

Alexander Posselt

Leiter Marketing myToys GmbH

Interviewbild Alexander Posselt

Alexander Posselt begann seine Laufbahn 1997 bei dem Spielwarenhändler Toys’R’Us. Im Jahr 2000 wechselte er in den Einkauf des eCommerce-Unternehmens myToys.de, dem größten deutschen Online-Händler für Spielwaren, Babyartikel und Kindermode. Seit 2011 verantwortet er das Marketing für den Webshop und die Marke myToys. Seine Leidenschaft für SEO weckte auch sein Interesse für Content- und Inbound-Marketing.

Motto: Be In(bound) or be out!

Was sind für Sie die drei wichtigsten Herausforderungen mit Blick auf den Trend zu Seamless Shopping über mehrere Kanäle hinweg?

Mit einer zunehmenden Anzahl unterschiedlichster Endgeräte wird die nahtlose und somit nutzerfreundliche Umsetzung von Inhalten und Services zum zentralen Bestandteil einer zeitgemäßen digitalen Marketingstrategie. Daraus ergeben sich aus meiner Sicht folgende Herausforderungen:

  1. Wir brauchen ein tiefes Verständnis für IT, Technologien und fremde Ökossysteme. Händler und Marketer, die die Sprache von Entwicklern und Analysten nicht sprechen, gehören genauso der Vergangenheit an, wie Entscheider, die Disruption in ihrer Branche nicht als Normalzustand sehen. Unsere Kunden bewegen sich heute ganz selbstverständlich durch die Welten von Google, Apple, Facebook und Amazon (GAFA). Diese Ökosysteme zu verstehen und für das eigene Geschäftsmodell zu nutzen, ist nahezu alternativlos. Es sei denn, das eigene Geschäftsmodell kann den Kunden ein Ökosystem bieten, in dem sie sich in ihrem Lebenszyklus als Konsumenten und Interessenten längere Zeit aufhalten können.
  2. Das Sammeln und Beherrschen von Kundendaten ist der Schlüssel für ein erfolgreiches Handelsunternehmen. Dabei sind Daten-Silos idealerweise zu vermeiden und eine einheitliche Daten-Sammlung hat oberste Priorität. Teilweise fehlen für Cross-Device-Tracking noch die entsprechenden Technologien, aber die ersten Anbieter stehen mit ihren Lösungen schon in den Startlöchern. Aber auch ein Cross-Kontext-Tracking oder ein über verschiedene Kanäle und Kontaktpunkte abgestimmtes Cross-Channel-Tracking verursacht neue Aufwände und neue Denkweisen.
  3. Wir bereiten uns langsam auf den Übergang in eine Post-Privacy-Gesellschaft vor. Dieser Übergang ist von Unsicherheit und Konfusion gekennzeichnet. Kunden möchten alle digitalen Möglichkeiten nutzen, aber ihre Privatsphäre nicht opfern. Datenschutz soll möglichst „im Hintergrund“ ohne eigenen Aufwand gewährleistet sein, während in sozialen Netzwerken ohne Einschränkung alles geteilt wird. Wir brauchen daher Strategien für eine Datenerfassung, die Kunden wirklich wollen und verstehen. Die Händler müssen dafür Informationen liefern, die so relevant sind, dass der Kunde einen Nutzen darin sieht, seine Daten zu teilen. Wir müssen uns diese Daten verdienen (earned data). Damit können wir höhere Konversionsraten erzielen und Marketingkosten effizienter einzusetzen – ohne gleichzeitig den Nutzer zu verschrecken. Die Herausforderungen sind IT-Sicherheit, Transparenz, Verhältnismäßigkeit und ein kundenorientierter Mehrwert. Das Wichtigste ist dabei: Alles muss sich um das Kundenerlebnis drehen.

Wie gelingt Ihnen die kanalübergreifende Kampagnensteuerung, und was ist der entscheidende Erfolgsfaktor?

Kanalübergreifende Kampagnensteuerung ist nur erfolgreich, wenn wir Traffic-Akquisition, Kundensteuerung, Konversionoptimierung und Preispolitik nicht als fachliche Silos sehen. Diese Silos neigen nämlich zu falschen Ableitungen, da sie meist nur ihre eigenen Kennzahlen betrachten. Daraus folgt eine falsche Attribuierung von Marketingbudget, die nicht auf den tatsächlichen Gewinnungskosten und einem Customer Lifetime Value basiert. Um alle Potentiale ausschöpfen zu können, sollte das Aufbrechen der Abteilungsgrenzen sowohl organisatorisch, als auch prozessual gelebt werden. Damit wandeln wir den alten Spruch von John Ford um: „Die Hälfte meines Geldes für Werbung ist rausgeschmissen, ich weiß aber, welche Hälfte!“. Natürlich arbeiten wir auch an dieser Hälfte.

Wie reagieren Sie in der digitalen Markenpositionierung auf zunehmende Personalisierungsmöglichkeiten bei Marketingkampagnen?

Wir sind zwar noch weit von Personalisierungsmechaniken für jede einzelne Kundin entfernt, aber müssen uns bereits jetzt mit einer Zukunft beschäftigen, die das möglich machen wird. Wie jedes Unternehmen, so wollen auch wir dem Kunden einen definierten Nutzen erbringen, sind uns aber darüber bewusst, dass es zahlreiche andere Unternehmen gibt, die ähnliche Geschäftsmodelle und Konzepte haben. In einem solchen Umfeld einen wirklichen USP zu definieren und diesen auf Dauer zu halten, gestaltet sich oft schwierig. Eine Convincing Selling Proposition kann darauf eine Antwort sein: Je nach Kontext, Touchpoint und Saisonalität passen wir den Markenauftritt so an, dass unsere Marke überzeugend bleibt, aber auf die wirklichen Bedürfnisse der Kundin Rücksicht nimmt. Dabei sollten wir einen Blick in die Neurowissenschaften und unsere eigene LimbicMap© nicht scheuen. Nur wenn wir die Motivationen unserer Kundinnen verstehen, dann sind wir auf eine digitale Markenpositionierung vorbereitet.

Welche zentralen Veränderungen sehen Sie für das Shopping-Verhalten der Kunden in einigen Jahren?

Mit dem eCommerce kam es bereits zu einem Paradigmawechsel im Einzelhandel. Die Produktauswahl ist im Kaufprozess vor die Händlerauswahl getreten. Die “LBS-Handels-Studie 2015” hat ermittelt, dass sich bereits über 70 Prozent der Deutschen online über Produkte informieren. Damit hat das Internet inzwischen einen größeren Einfluss auf die Kaufentscheidung als der stationäre Handel. Die Verbreitung mobiler Endgeräte wird diesen Prozess beschleunigen und der Produktkauf rückt immer näher an den Impuls und die eigentliche Kaufabsicht heran. Lag die Beratungskompetenz im traditionellen Modell beim Händler, wird diese Aufgabe zunehmend von Gatekeepern wie Facebook und Google übernommen, die ihre Ökosysteme weiter ausbauen. Händler, denen es nicht gelingt, diese Gatekeeper nahezu perfekt zu verstehen und sich in deren Ökosystemen symbiotisch zu bewegen, werden im Prozess ausgeschaltet.

Des Weiteren werden unsere Zielgruppen immer spezieller: Wie werden sich z.B. die „Digital Moms & Dads“, die heute schon fast alles für den Familienbedarf online kaufen und besonders aktiv im Web – zum Beispiel auf Blogs – sind, in Zukunft für einen Kauf entscheiden? Wie erreiche ich zukünftig die Millennials, die rund 90 Prozent der heute 16- bis 34-Jährigen, die fast täglich und dann meist mit Small-Screen-Devices (heute noch Smartphone und morgen…?) im Internet unterwegs sind? Und wie kann ich meine Brand Advocates, die täglich Posts und Content meiner Marke kommentieren oder liken, weiterhin an mich binden und ihnen neue Anreize bieten?

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