„Zunehmende Reglementierung verschärft die Nachteile für das Stationärgeschäft”

Ortwin Philipp

Fachanwalt für Verwaltungsrecht bei Petersen Hardraht Pruggmayer Dresden

Interviewbild Ortwin Philipp

Ortwin Philipp ist Fachanwalt für Verwaltungsrecht bei Petersen Hardraht Pruggmayer Dresden. Seine Beratungsschwerpunkte sind Immobilienrecht, Kommunalberatung, öffentliches Bau- und Planungsrecht, Kommunale Kooperation, Recht der öffentlichen Infrastruktur und Umweltrecht. Außerdem hält er seit 2010 regelmäßig Fachvorträge für Firmen und Verbände.

Herr Philipp, Sie sind Rechtsanwalt – unter anderem mit den Schwerpunkten Immobilienrecht und Öffentliches Bau- und Planungsrecht. Wie erleben Sie persönlich und fachlich den Wandel im Einzelhandel?

Mit dem „Wandel im Einzelhandel“ wird vor allem der seit vielen Jahren zunehmende Markt-Anteil des Onlinehandels verbunden. Der Wandel betrifft längst nicht mehr lediglich Waren des lang- und mittelfristigen Bedarfs wie Kleidung oder Elektronik, sondern auch Waren des täglichen Bedarfs wie Drogeriewaren oder auch bestimmte Produkte aus dem Lebensmittelbereich. Der E-Commerce erzeugt einen hohen Wettbewerbsdruck, der für traditionelle Einzelhandelsbetriebe existenzbedrohend sein kann. Andererseits bietet der Onlinehandel auch Chancen. Dies betrifft zum einen die Versorgung in dünn besiedelten Gebieten, die vom stationären Handel zum Teil schon vor der Erstarkung der Online-Konkurrenz nicht mehr gewährleistet wurde. Zum anderen bietet der Onlinehandel jungen Unternehmen Möglichkeiten, sich mit innovativen Produkten und Konzepten zu behaupten und bei entsprechender Nachhaltigkeit und mit dem bereits erfolgreichen Online-Handel „als Basis“ früher oder später auch im stationären Handel zu etablieren.

Sehen Sie regulatorischen Handlungsbedarf, um einen fairen Wettbewerb zwischen online, mobile und stationärem Handel mit den großen Plattformen zu ermöglichen?  

Der Online-Handel lässt sich nicht durch Vorgaben des öffentlichen Baurechts steuern. Andererseits unterliegt der stationäre Handel strengen bau- und raumordnungsrechtlichen Regeln. Eine noch weitergehende Reglementierung des stationären Handels würde die strukturellen Nachteile gegenüber der Online-Konkurrenz verschärfen. Angesichts der Tatsache, dass sich der Onlinehandel mit den Mitteln des öffentlichen Baurechts ohnehin nicht steuern lässt, ist – auch im städtebaulichen Interesse – vielmehr eine (Teil-)Deregulierung des stationären Einzelhandels zu erwägen.

Ob die Regularien außerhalb des öffentlichen Baurechts ausgeschöpft sind, möchte ich nicht abschließend bewerten. Sicherlich haben wir in Deutschland und Europa aber bereits ein sehr ausgereiftes Verbraucherschutzrecht.

Ist aus Ihrer Sicht die Verhältnismäßigkeit gewahrt, wenn man die Landesentwicklungspläne einiger Bundesländer als Maßstab nimmt?

Nein. Insbesondere die Bundesländer Sachsen und Niedersachsen sind aus meiner Sicht zu weit gegangen. Die städtebauliche Entwicklung sollte vorrangig den Akteuren vor Ort überlassen werden. Es ist klar, dass das nicht in jedem Einzelfall zu einer idealen städtebaulichen Entwicklung führen wird; das ist aber genauso wenig der Fall, wenn die Einzelhandelsansiedlung durch landesweite Ziele starr vorgegeben wird. Gerade die kleineren und mittleren Städte haben z. T. erhebliche Schwierigkeiten, in ihrem Gemeindegebiet die von den Einwohnern gewünschten Einzelhandelsansiedlungen zu ermöglichen. Das liegt daran, dass die raumordnungsrechtlichen Vorgaben Einzelhandelsgroßprojekte Städten mit (hoher) Zentralität vorbehalten und selbst dort – innerhalb des Stadtgebietes – Vorgaben für die Ansiedlung machen. In Verbindung mit den bereits beschriebenen Effekten des Online-Handels führt dies in manchen Fällen zum Gegenteil dessen, was man bewirken will, nämlich zu zunehmend museumshaften Innenstädten mit erhöhtem Leerstand und dem Gefühl, vor Ort von Landespolitik abgehängt zu sein. Das wird von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Raumordnungsbehörden mitunter auch erkannt; die Ziele der Landesentwicklungspläne werden nicht immer konsequent angewendet.

Welche zentralen Veränderungen sehen Sie für das Shopping-Verhalten der Kunden in einigen Jahren bzw. was kommt nach der Verknüpfung der Kanäle?

Ich nehme an, dass Service und Beratung in Zukunft wieder eine größere Rolle spielen werden. Es ist spannend, wie der Onlinehandel mit diesen Herausforderungen umgehen wird.

Welche sonstigen relevanten Trends und Veränderungen sehen Sie aus rechtlicher Sicht in den kommenden Jahren?

Mit großer Spannung wird der Ausgang des von Europäischen Kommission geführten Vertragsverletzungsverfahrens erwartet, in dem die Kommission die zum Teil strengen raumordnungsrechtlichen Vorgaben gerügt hat und möglicherweise demnächst ein Klageverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland einleiten wird. Eine völlige Deregulierung des großflächigen Einzelhandels ist aus meiner Sicht zwar nicht vorstellbar, eine Veränderung der bestehenden Vorgaben hingegen schon.

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